Neue Lektüre zu Wirtschafts- und Gesellschaftsthemen, die einen Blick lohnen.
Nach dem Stöbern auf den Auslagen und dem Blick in die einschlägigen Foren, bleibt der Eindruck, dass dieser Bücherfrühling vor allem den Historikern und den Philosophen gehört. Helmut Lethens "Staatsräte" und Wolfram Ellenbergers "Zeit der Zauberer" und "Rückkehr nach Lemberg" von Philippe Sands sind drei Beispiele dafür.
Diese Neuerscheinungen zu Wirtschaft und Gesellschaft lohnen aber auf jeden Fall einen Blick:
Wolfgang Jenewein, Warum unsere Chefs plötzlich so nett zu uns sind
(Ecowin Verlag)
Ich kenne Wolfgang von Projekten her, die wir zusammen gemacht haben. Er ist Professor an der HSG. In seinem Buch verspricht er uns, dass die Chefs alter Schule ausgedient haben. Und wie man als Chef agiert, damit man mit den analogen Menschen in der digitalen Welt eine Zukunft hat.
Michaela I. Abdelhamid, Die Ökonomisierung des Vertrauens: Eine Kritik gegenwärtiger Vertrauensbegriffe
(transcript)
Das Wort Vertrauen hat Inflation und deren Fehlen wird gerne beklagt, z.B. als Vertrauenskrise in die Wirtschaft. Die Professorin aus Darmstadt seziert den Begriff und entlarvt ihn als Kontrollstrategie. «Nicht Vertrauen ist unser Problem, sondern die Anwendung eines einseitigen, dogmatisch ausgelegten und lebensfernen Rationalitätsbegriffs». Anspruchsvoll, aber ein lohnender Blick unter die Oberfläche.
Kate Raworth, Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
(Hanser)
War 2017 auf der Longlist des «Best Business Book» der Financial Times, jetzt in deutscher Übersetzung. Die Oxford-Ökonomin schreibt eine Roadmap, wie Kapitalismus, Ökologie und soziale Grundrechte zusammengebracht werden können. Das ist gut zu lesen, hebt sich ab von den vielen Weltverbesserungs-Vorschlägen. Was das mit einem Donut zu tun hat? Raworth sagt, welche Scheiben sich die Ökonomen des 21. Jahrhunderts abschneiden müssen, damit sie uns nicht in die Sackgasse führen.
Ich stelle das Buch von Kate Raworth am Donnerstag, 26. April im Sachbuchquartett auf Radio SRF2 vor und diskutiere mit den Radio-Kolleginnen und -Kollegen darüber.
Adam Alter, Unwiderstehlich. Der Aufstieg suchterzeugender Technologien und das Geschäft mit unserer Abhängigkeit
(Piper)
Ich bin ja skeptisch: will uns dieser Mann (Psychologe, New York) unser Smartphone vermiesen und all die tollen Dinge, die man damit tun kann. Aber das Buch hat die höheren Weihen von Malcom Gladwell und macht nachdenklich. Welches sind die psychologischem Mechanismen hinter unserer Abhängigkeit von Iphone, Email und Messaging. Und was können wir daraus lernen, z.B. für unsere Kinder?
Die Jury des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises wählt das Wirtschaftsbuch des Jahres (auf der Frankfurter Buchmesse), und auch die Financial Times vergibt (zusammen mit McKinsey) den «Business Book of the Year Award» (Anfang November). Auf der Shortlist der Financial Times ist das Buch von Ellen Pao, welche die Diskussion um Geschlechterdiskriminierung im Silicon Valley ins Rollen gebracht hat. Dazu hat auch die Schweizerin Iris Bohnet etwas zu sagen. Sie war letztes Jahr für den FT-Preis nominiert, und ihr Buch ist jetzt auf Deutsch erschienen. Auf der Liste des Handelsblatts ist u.a. das Buch des FAS-Wirtschaftschefs Rainer Hank zum Thema Macht. Abseits der Bestenlisten gibt es weitere empfehlenswerte Lektüre, die gut zu Bohnet und Hank passen und um die grossen Fragen von Macht, Freiheit und Kontrolle kreisen.
Iris Bohnet: What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann
Bohnet macht ein grosses Versprechen: «Wir können heute die Kompassnadel in Richtung einer gerechteren und besseren Welt verschieben. Jetzt ist es an Ihnen.“ Der Schlüssel zu dieser gerechteren und besseren Welt sind für Iris Bohnet, die in Boston lehrt und Mitglied des Verwaltungsrats der Credit Suisse ist, Entscheidungsprozesse, die so gestaltet sind, dass die blinden Flecken der Entscheider und Entscheiderinnen systematisch ausgeblendet werden; beispielsweise Bewerbungsverfahren ohne Offenlegung des Geschlechts. Tatsächlich der Ungleichheit Ende? Wo bleibt denn die Frage nach den Machtverhältnissen, die ungleiche Strukturen reproduzieren und den mächtigeren Entscheidern dienen?
Mehr darüber und über dieses Buch auch am 26. Oktober in der Sendung Kontext/ Sachbuchquartett auf SRF2, in der ich zwei Mal im Jahr eine Neuerscheinung aus Wirtschaft und Gesellschaft vorstelle.
Verlag: C.H.Beck
------
Rainer Hank: Lob der Macht
Beim Thema Macht hat Rainer Hank wenigstens keinen blinden Fleck. Im Gegenteil: er beschreibt sie in all ihren vormodernen und modernen Spiel- und Erscheinungsformen, von Karl V. bis Donald Trump, von der Machtfülle und der Machtlosigkeit von Managern bis zur Allmacht der Götter, von Ideologien und der Macht von Ideen bis zur Macht des Geldes. Die Begründung, weshalb er dies tut, ist nachvollziehbar: das Wiedererwachen und Erstarken des (aussenpolitischen) Realismus lässt uns die Macht, Machtgehabe und Machtansprüche mit all ihren Folgen wieder deutlich spüren. Manche sind sogar davon fasziniert. Dass solches Benennen und Beschreiben, wie der Klappentext und zeitweilig auch Hank selber behaupten, eine Tat der Enttabuisierung ist, ist eher bemühend. Und am Ende bleibt Hank an der Oberfläche der Erscheinungsformen von Macht kleben. Immerhin tut er das unterhaltend.
Verlag: Klett-Cotta
------
Markus Metz/Georg Seesslen: Freiheit und Kontrolle. Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven
Oberflächlichkeit kann man dem Essay des Autoren-Duos Metz/Seesslen nicht vorwerfen. Dies ist ein dialektisch angelegter Parcours – ja: zum Thema Macht. «Macht» so verstanden, dass es wirksames – auch eigenwirksames Handeln gar nicht gibt ohne die Spannung zwischen Freiheit und Kontrolle, also ohne dass die Machtfrage ins Spiel kommt. Eine zuweilen schwierige philosophische aber immer anregende Lektüre.
Verlag: edition suhrkamp
------
Ulrich Bröckling: Gute Hirten führen sanft. Über Menschenführungskünste
Das beste Wirtschaftsbuch dieses Herbstes kommt für mich von Ulrich Bröckling, Professor für Kultursoziologie an der Universität Freiburg. Schon in seinem letzten Werk analysierte er aus soziologischer Perspektive die Mechanismen der subtilen «Zurichtung» des Individuums in der postindustriellen Gesellschaft. Bröcklings neues Buch widmet sich den «sanften» Steuerungsformen in Wirtschaft und Gesellschaft (Prävention, Nudging, Feedback, Kontraktpädagogik), dem Diskurs über das Steuerung und deren Versagen («Planung») sowie den (Selbst-) Beschreibungen und der Analyse des ökonomisierten Selbst (z.B. im Kapitel über Burnout). Was das bringt? Neben viel Lesevergnügen die Möglichkeit, uns selber als Subjekte, aber auch Objekte der Steuerung mit kritischer Distanz besser wahr- und ernst zu nehmen.
Verlag: suhrkamp taschenbuch wissenschaft
Das ist das Buch.
Hier geht es zur ganzen Sendung (auf Bild klicken).
Hier geht es zur Besprechung des Buches (auf Bild klicken).
Als leitender Mitarbeiter in Unternehmen unterschiedlicher Industrien habe ich immer wieder mit grösseren und kleineren Beratungsunternehmen zusammengearbeitet. Oder zusammenarbeiten müssen (Sie kennen das auch?). Auf diese Erfahrungen blicke ich auch positiv zurück. Eventuell einfach Glück gehabt? So oder so: Was sind jenseits der analytischen Kompetenzen und branchenspezifischen Skills und Erfahrungen die beobacht- und erfahrbaren 'must haves' - was macht gute Beraterinnen und Berater aus, gerade in Transformationssituationen? Hier meine Liste der Tops, für die ich reale Beispiele im Kopf habe (danke auf diesem Weg für die gute Zusammenarbeit!)
Gute Beraterinnen und Berater...
Top 1:..bringen ein grosses Interesse für Menschen mit. Interesse heisst: wissen wollen, was diejenigen bewegt, die Veränderungen treiben, sich von Veränderungsplänen treiben lassen oder sich gegen Veränderungen wehren. Dies nicht mit dem (Pseudo-) Psychologenhammer, sondern mit dem Verständnis, dass alle Akteure "gute Gründe" haben, die im besten Fall durch kommunikative Prozesse verändert werden können.
Top 2:...haben Leidenschaft für die Sache. Sie machen die Angelegenheit zu ihrer eigenen. Das heisst auch: sie kämpfen für das Bestmögliche und riskieren dabei etwas; auch das zeitweilige Naserümpfen des Auftraggebers oder den (bei Standhaftigkeit unvermeidlichen) Wutausbruch.
Top 3:...denken und verhalten sich unternehmerisch. Gute Beraterinnen und Berater handeln "effektuativ", das heisst, sie operieren nach dem Prinzip der „vorhandenen Mittel“ und des "leistbaren Verlusts“ und beraten auch so. Sie denken nicht in Fünfjahresplänen, sondern entwickeln mit ihren Auftraggebern attraktive Orientierungsrahmen.
Top 4:...betrachten Organisationen nicht als Maschinen und finden das sogar gut. Sie streben nicht nach der perfekten Organisation (und verkaufen auch nicht eine solche!), sondern nach ihrer nächsten besten Daseinsform. Sie leiden nicht an der Sisyphus-Aufgabe, sondern stellen sich „Sisyphus als glücklichen Menschen“ (Albert Camus) vor.
Top 5:...haben eine hohe Kommunikationskompetenz. Sie begreifen Kommunikation nicht als Verwaltungsangelegenheit, sondern als Handeln der Akteure, das die Organisation bewegt und bewegen kann. Kommunikation ist für sie das Bindeglied zwischen Schauseite, formaler und informaler Seite der Organisation – oder der Ort, wo die Spannungen zwischen diesen drei Dimensionen offen zu Tage treten.
Buchempfehlungen (manche können’s ohne, andere damit – vielleicht – besser lernen):
Michael Faschingbauer 2010: Effectuation, Verlag: Schäfer/Poeschel Stefan
Kühl/Judith Muster 2016: Organisationen gestalten, Verlag: Springer VS
Axel Gloger 2016: Betriebswirtschaftsleere, Verlag: FAZ/NZZ
Vier Themen, vier Bücher, vier Besprechungen. Im Sachbuchquartett von Schweizer Radio SRF2 bin ich Gast mit Wirtschafts- und Managementbüchern. In dieser Ausgabe mit dem neusten Werk der taz-Journalistin Ulrike Herrmann: "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung".